Diese Satire (oder auch Staatsdrama) führt uns nun klar vor Augen, was für ein Land die Türkei ist und mit welchem Regierungschef Merkel zusammenarbeitet. Chapeau Jan Böhmermann, dass er dieses Wespennest en passant aufgeschlitzt hat, was nun da so raussuppt, ist wirklich atemberaubend. Aber bei dem Politikum kann nur Merkel verlieren, sie sitzt offensichtlich fest in Erdogans Erpresserstrategie? Merkels Verlautbarung, sie bewerte Böhmermanns Satire als „bewusst verletzend“ kann man als Wink mit dem Zaunpfahl Richtung Justiz (miss)verstehen, aber auch als Handreichung zum Diskurs ist sie „wenig hilfreich“, um mal in den Merkel-Jargon zu fallen. Im politisch-diplomatischen Kontext wirkt Merkels Einlassung wie ein Kotau vor dem Sultan. Sie ist ein Grund dafür, dass sich die Böhmermann-Posse zur veritablen Staatsaffäre aufgebläht hat.
Hätte Merkel das Gedicht nicht kommentiert, oder aber mit – „meinen Geschmack trifft es nicht, vor allem mit Bezug auf die Wortwahl“ – wäre das politisch völlig harmlos gewesen. Aber so – sich auch noch mit Herrn Erdogan zu solidarisieren – war das exakte Gegenteil von Klugheit.
Ein vortrefflicher Kommentar von Wolfram Weimer auf n-tv.de – auszugsweise:
[…] Ausgerechnet ein Gedicht entlarvt die Kanzlerin mit ihrer misslungenen Migrationspolitik und untergräbt ihre Integrität schwer. Merkel hätte zu den Schmäh-Reimen des Kölner TV-Narren einfach schweigen können, so wie sie sich in ihrer Karriere häufig bloß kühl nach oben geschwiegen hat.
Zunächst reagiert der angegriffene Erdogan, wie Despoten immer auf Kritik reagieren – humorlos, gereizt, aggressiv. Er fordert den juristischen Kopf des Satirikers, so wie er es in der Türkei gewohnt ist und so wie er Hunderte von Regimekritikern brutal verfolgt. Doch dann springt die Kanzlerin Erdogan überraschend zur Seite, ruft eilfertig den türkischen Ministerpräsidenten persönlich an und kritisiert demonstrativ das Gedicht. Hinterher lässt sie das auch noch alle Welt offiziell wissen und ihr lyrisches Urteil verbreiten: „bewusst verletzend“. Unerträglich. […] Weiterlesen