Ein ehemaliger Oberst der Bundeswehr berichtet in einem Leserbrief über die afghanischen Ortskräfte, das Fazit fällt wenig schmeichelhaft aus, aber aufgrund seiner Beobachtungen und der Einsatz vor Ort dürften seine Schilderungen glaubhafter sein, als das Geschwafel der Politiker. Peter Scholl-Latour berichtete bereits im Jahr 2009 über die tatsächlichen Verhältnisse in Afghanistan, noch heute sind die Videos auf YouTube einsehbar.
Nachfolgend der Leserbrief, den die FAZ (Seite im Archiv) veröffentlich hat:
Auch ich gehöre zu den Soldaten der Bundeswehr, die in Afghanistan eingesetzt waren. 2005/2006 war ich, Dienstgrad Oberst, im 9. und beginnenden 10. Deutschen Einsatzkontingent Kommandant von Camp Warehouse in Kabul, des damals größten internationalen Camps mit ungefähr 2400 Soldaten aus mehr als 20 Nationen. Was die Ortskräfte angeht, so habe ich einen anderen Zugang als der, der üblicherweise in den Medien verbreitet wird. Als Kommandant von Camp Warehouse hatte ich einige Ortskräfte. Diese jungen Männer (bei Radio Andernach gab es sogar einige Afghaninnen) kannten haargenau die Situation in der sie umgebenden Gesellschaft.
Selbstlosigkeit war das Letzte, was diese Leute angetrieben hat, um für uns zu arbeiten. Diese romantisch-idealisierenden Vorstellungen sind dort unbekannt beziehungsweise stoßen auf völliges Unverständnis. Das Leben ist viel zu hart, um sich mit derartigen Wohlstandsgefasel zu beschäftigen.
Unsere Ortskräfte wurden für afghanische Verhältnisse fürstlich entlohnt, gut behandelt und nahmen wie selbstverständlich an unserer ausgezeichneten Mittagsverpflegung teil. Von den Soldaten des deutschen Kontingents wurden sie in der Regel bei Kontingentwechseln mit Kleidung, Schuhen und so weiter beschenkt. Ich habe Dutzende sogenannte Mitnahmebescheinigungen unterschrieben, damit ihnen diese Geschenke bei der Kontrolle an der Wache nicht abgenommen wurden.
Es hat sich also gelohnt, für uns zu arbeiten. Dies war selbstverständlich auch ihrer Umgebung bekannt. Gehörten sie starken Familien, Stämmen, Clans an, haben auch diese davon profitiert und schützten diese Leute. Gut zu wissen: Ein Afghane definiert sich ausschließlich über seine Familien- beziehungsweise Stammeszugehörigkeit; Individualismus ist unbekannt. Gehörten sie zu schwächeren Gruppen, waren Schutzgeldzahlungen fällig, um nicht umgebracht zu werden. Darüber hinaus waren Informationen zu liefern. Die Taliban oder ähnliche Gruppierungen waren somit bis ins Detail über unsere Zahl, Ausrüstung, gegebenenfalls sogar über unsere Absichten informiert.
Meine beiden deutschen Soldaten, die mich bei der Führung des Camps unterstützt haben, waren entsprechend instruiert und zur Vorsicht bei der Informationsweitergabe ermahnt. Dass gerade diese Ortskräfte jetzt sämtlich zu uns kommen wollen, überrascht mich nicht; hatten sie doch einen recht genauen Einblick über unseren Lebensstandard erlangt. Innerlich verachten uns diese Menschen, was sie aus nachzuvollziehenden Gründen natürlich nie zugeben werden. Sie wollen ja etwas erreichen: den Wohlstandsmagneten Deutschland.
Ich will nicht verkennen, dass es Ausnahmen geben mag. Nur: mir sind sie nicht begegnet. Aber vielleicht war und bin ich ja blind. Mit Letzterem befinde ich mich, wenn ich mir die Berichterstattung über den Zusammenbruch der durch die westlichen Staaten geförderten politischen Ordnung in Afghanistan betrachte, jedoch in bester Gesellschaft.
Dr. Thomas Sarholz, Oberst a. D., Andernach