Martin Graf: Bye bye, Greta!

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Seit dem tränenreich inszenierten „How dare you!“-Auftritt von Greta Thunberg beim UN-Klimagipfel in New York am 23. September 2019 sind mittlerweile knapp zwei Monate vergangen. Und eine der Prognosen meines zwei Tage später publizierten „Offenen Briefes“ ist mittlerweile eingetreten: Greta ist von den Titelseiten verschwunden. Viel mehr als ihre (angeblich) CO2-freie Rückfahrt nach Europa auf einem millionenteuren Katamaran findet man aktuell nicht mehr in den Medien. Was soll auch noch kommen? Die mediengeile Meute will Sensationen; keine Wiederholungen. Um es wieder in die Schlagzeilen zu schaffen, müssten Gretas Hintermänner und -frauen dafür sorgen, dass sie einen Prinzen heiratet. Oder einen Porsche kauft. Oder aus lauter Verzweiflung über ihre „geraubte Kindheit“ vor laufenden Kameras irgendwo von einer Klippe springt.

Mein Journalistenkollege Henryk M. Broder (nein, man muss ihn nicht mögen) hat das Phänomen Greta kürzlich treffend analysiert; er schrieb: „Ich liebe Greta. Nicht wegen ihrer Zöpfe, nicht wegen ihres Mondgesichts, nicht weil sie an Asperger leidet und auch nicht, weil sie das Schulschwänzen zu einem moralischen Imperativ erhoben hat. Ich liebe Greta, weil sie es – wenn auch ungewollt – geschafft hat, die westliche Gesellschaft als das zu entlarven, was sie ist: abergläubisch, dekadent, dumm, hysterisch, infantil und süchtig nach Erlösung.“

Das deckt sich auch mit meinen Beobachtungen. Bevor man sich der Hysterie des „menschengemachten Klimawandels“ anschliesst (der die meisten seiner heutigen Verfechter bis vor kurzem überhaupt nicht interessiert hat), sollte man sich daher vor allem ehrlich über die eigenen Motive klarwerden. Der Philosoph Michael Schmidt-Salomon bezeichnet dieses Phänomen als „Empörialismus“: Es geht nicht mehr um die Qualität von Argumenten, sondern um das möglichst laute und empörte Bekenntnis, auf der „richtigen Seite“ zu stehen.

Ich habe kein Problem damit, wenn Menschen an etwas glauben, das ich nicht teile. Die Katholiken dürfen gerne an Hölle und Fegefeuer glauben, die Moslems an 72 Jungfrauen im Paradies, die Veganer an ein längeres Leben durch den Verzehr von Tofu und die Klimatisten meinetwegen an die Rettung des Planeten durch deutschen Auto- und Konsumverzicht. Aber eben: Jeder für sich. Sobald jemand damit anfängt, mir seinen Glauben als bewiesene Tatsache aufdrängen zu wollen und mir ungefragt zu erzählen, wie ich (nicht) leben soll, regt sich bei mir massiver Widerstand: Ich brauche kein „betreutes Denken“; ich kann das selbst.

Was mich seit Monaten allerdings zunehmend beunruhigt, ist der Umgang der Menschen miteinander. Wir haben in Deutschland wieder einen Zustand erreicht, in dem es viel schwarz und weiss, aber wenig Grautöne gibt. In dem die „Weissen“ die „Schwarzen“ leichtfertig als „Klimaleugner“ und „Nazis“ verunglimpfen. In dem sich Menschen persönlich und in sozialen Netzwerken „entfreunden“, weil sie ver-(oder gar nie ge-)lernt haben, eine andere als die eigene Meinung auch nur zu tolerieren – geschweige denn, verstehen zu wollen. Gerade so, als hinge die Zukunft des Planeten davon ab, rechtzeitig an die „richtigen“ Heiligen geglaubt zu haben. Das ist das eigentlich Schlimme: Dass Menschen in einem der saubersten, reichsten und freiesten Länder der Erde sich nicht mehr trauen, eine Meinung zu vertreten, die nicht dem aktuellen Mainstream entspricht. Hat die „Generation Facebook“ das Diskutieren verlernt?

Mittlerweile gibt es erste Forderungen führender Grünen-Politiker, dass „klimaskeptische“ Standpunkte in den Medien keinen Platz mehr bekommen sollten (man könnte das auch „Zensur“ oder „Gesinnungsdiktatur“ nennen). In der Fachzeitschrift „Psychotherapeutenjournal“ wurde kürzlich sogar die Forderung erhoben, den Geisteszustand „klimakritischer“ Zeitgenossen zu überprüfen; notfalls auch gegen deren Willen.

Aber wir werden demnächst ohnehin feststellen, dass Greta und die FFF-Schulschwänzer unwillentlich eher nützliche Idioten waren: Zur Vorbereitung viel radikalerer Ideen als nur ein bisschen Flug- und Autoscham. Rücksichtslose Gruppierungen wie „Xtinction Rebellion“ bringen sich bereits in Stellung, um die Menschheit auch ohne Legitimierung durch Wähler und notfalls mit Gewalt mit ihren Vorstellungen von einer „besseren Welt“ zu „beglücken“: Einer gigantischen, undemokratischen Verbots-, Kontroll- und Gelddruckmaschine, gegen die der mittelalterliche Ablasshandel und die katholische Kirchensteuer laue Lüftchen sind. Als „Optimist aus Prinzip“ kann ich nur hoffen, dass in der Politik demnächst wieder charismatische Experten statt ungebildeter und durchgeknallter Clowns das Sagen haben.

Eine persönliche Anmerkung zum Schluss: Es ist immer wieder die Rede von der „Verantwortung für die nächsten Generationen“, denen man „eine bessere Welt hinterlassen“ müsse. Das sagt sich so hübsch, und natürlich widerspricht niemand solchen gedankenlosen Sprechblasen. Ja, Verantwortung ist toll und wichtig – aber sie ist keine Einbahnstrasse: Die Generation unserer Kinder und Enkel trägt auch selbst Verantwortung: Nicht nur in schönen Worten für „die Zukunft des Planeten“, sondern auch ganz konkret für die Älteren und Alten, für die die Jungen mit eigener Erwerbsarbeit, mit Zahlungen in die Rentenkasse, aber auch mit Gesundheits- und Pflegedienstleistungen ihren Teil des Generationenvertrages erfüllen müssen.

Auch Greta.

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