Gerald Grosz: Deutsches Demokratieverständnis am Beispiel Thüringen

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Deutschland steht wieder einmal Kopf, in Thüringen wurde ein Ministerpräsident gewählt. An sich ein normaler Vorgang in einer gewachsenen und gefestigten parlamentarischen Demokratie, nur im gespaltenen Einzelfallland der AA’s, der Angelas und Annegrets eben nicht mehr. Denn da hat man sich doch tatsächlich die einzigartige Schandtat erlaubt, das letzte Aufgebot der SED in die Wüste zu schicken, einen Ministerpräsidenten aus dem ideologischen Stall des Erich Honecker endlich abzuwählen, einen Funktionär in der Nachfolge jener Stasi-Partei, an deren Händen das Blut von tausenden Toten der DDR klebt, die nachweislich in tiefer Ehrerbietung zum Massenmörder Stalin standen und stehen. Kein Sozi wurde es, auch keiner der GrünInnen und schon gar kein Linker mehr – das morsche Machtgebäude der Marxisten ist in sich zusammengebrochen. Mehr hat‘s nicht gebraucht, als dass die „vorgeblichen Demokraten“, in Wahrheit totalitäre Tempelhüpfer, den Volksaufstand proben, die Palastrevolution ausrufen. Die öffentlich rechtlichen Medien überschlagen sich, der in guter Tradition des Volksempfängers konzertierte Meinungsterror blüht auf. Als „gottvergessen“ wird diese Wahl kritisiert, als „Schande Deutschlands“ tituliert. Man lerne aus dem kleinen 1 Mal 1 deutschen Demokratieverständnisses: Wenn man einen Faschisten von Links, also einen Kommunisten inthronisiert, ist das ein enthusiastisch abgefeierter Ausdruck der Freiheit und der demokratischen Normalität. Wenn man einen lupenreinen Liberalen aus der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft demokratisch wählt, ist das ein Akt des Faschismus. Jetzt mag man durchaus unterschiedlicher Meinung sein, ob gerade der Vertreter einer mickrigen 5 Prozent Partei wie in diesem Fall der liberalen FDP auch Ministerpräsident werden sollte, doch die Mehrheit des dafür zuständigen Landtages wählte ihn. So what. Übrigens sitzt in Deutschland auch noch die SPD in der Bundesregierung, eine zerfledderte Partei, die wahrscheinlich nicht einmal mehr mit Ach und Krach auf die magischen 5 Prozent kommen würde und Angelas CDU ist mittlerweile der politische Grundelfisch unter 20 Prozent. Aber nun zu des Pudels Kern der beschworenen Ausnahmesituation im schwarz-rot-gelben Chaosland, also dem Stimmverhalten der AfD: Ein Viertel der Thüringer Bürger wählte diese Partei in den Landtag. Deren Abgeordnete verfügen daher über ein freies Mandat und haben in geheimer Wahl diesen Ministerpräsidenten mitgewählt. Wenn man die freien Stimmen der AfD als demokratisch inakzeptabel klassifiziert, heißt das in weiterer Folge, dass man ihnen das Mandat und deren Wählern das Wahlrecht entziehen müsste. Aber Achtung liebe Sonntagsdemokraten: Deutschland hat noch nie eine gute Erfahrung mit der Ausschaltung von Parlamenten gemacht, das ging noch immer daneben. Sei es von Rechts oder von Links. Bedenklich die Äußerungen der GrünInnen: „Die Situation in Thüringen muss bereinigt werden“, also „gesäubert“ werden. Ganz in Tradition des Klumpfußes sprechen also nun nachweislich Linksextreme über die vermeintlich Rechtsextremen moralische Urteile. Der Blinde schimpft den Einäugigen. Bravo. Jetzt mag man der Ansicht sein, dass es geschmacklos wäre, dass ausgerechnet auch die Abgeordneten der AfD bei der Ministerpräsidentenwahl mitstimmen, aber die Demokratie ist eben kein Schönheitswettbewerb, auch keine Geschmacksfrage und selbst die AfD Abgeordneten haben ein verfassungsrechtlich garantiertes freies Stimmrecht.

Zeit für einen Exkurs im Volksschulklassen-Parlamentarismus: Die Mehrheit ist die Grundlage demokratischer Beschlüsse, die Aushebelung dieser nennt man bekanntlich Diktatur. Wenn man sich gegen die Demokratie stellt, die verfassungskonform durch freie und legitimierte Abgeordnete zustande gekommene Wahl eines ausgewiesenen Liberalen ernsthaft bekämpft, nennt man das Putsch. Churchill sagte richtigerweise: Demokratie ist die Notwendigkeit, sich gelegentlich den Ansichten anderer Leute zu beugen. Vielleicht ein weißer Satz für Merkel und Co!

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