Der deutsche Untertan, vom Denken entwöhnt

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Symbolbild

In seinem neuen Buch seziert Josef Kraus die Obrigkeitshörigkeit in Deutschland – die in Corona-Zeiten fröhliche Urstände feiert. Ein Anlass, dem Phänomen mit ihm in einem Interview auf den Grund zu gehen.

REITSCHUSTER: Neigt der typische Deutsche immer noch dazu, ein „Untertan“ zu sein? Wenn ja, warum?

KRAUS: Es scheint immer noch zu gelten, was Heinrich Heine vor fast zweihundert Jahren über den typischen Deutschen schrieb. „Der Deutsche gleicht dem Sklaven, der seinem Herrn gehorcht ohne Fessel, ohne Peitsche, durch das bloße Wort, ja durch einen Blick.“ Warum? Weil es so bequem ist, unmündig zu sein, wie Immanuel Kant 1784 feststellte. Der Deutsche will seine Ruhe haben. Wenn er als „gehorsames Haustier“ seine „komfortable Stallfütterung“ (Begriff von Wilhelm Röpke) hat, ist er zufrieden. Dann lässt er sich jede Bevormundung gefallen, aktuell etwa im Zusammenhang mit Corona oder Klimawandel oder Rundfunkzwangsgebühren oder Zensur in den digitalen Medien. Mit einem Anteil von weit über 80 Prozent wählt er dennoch entsprechend. Er wählt den Obrigkeits- und Ameisenstaat.

REITSCHUSTER: Warum sind viele Deutsche so unausgegoren?

KRAUS: Weil die Deutschen nie zu sich selbst gefunden haben. Erst wurden sie von der Reformation und vom Dreißigjährigen Krieg zerrissen. Die Zersplitterung dessen, was Deutschland hätte heißen können, in zig Fürstentümer hat zig regionale Autoritäten geschaffen. Freiheitsbewegungen im 19. Jahrhundert sind zumeist erbärmlich gescheitert. Der weltweit einmalige Aufschwung im Kaiserreich wird heute ignoriert oder gar zerredet. Dann kam der deutsche Größenwahn ab 1914 und ab 1933. Dann gingen die Deutschen erzwungenermaßen, aber auch freiwillig in Sack und Asche. So dass heute gilt: Deutschsein heißt, nicht deutsch sein zu wollen. Außer dass am deutschen Wesen das Klima genesen und nach deutschem Vorbild die Eine Welt, eine Welt ohne Grenzen, errichtet werden möge.

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